Alle drei Werke dieses Abends entstanden im Schatten einschneidender Ereignisse, die den Komponisten keine Illusionen mehr ließen: Die Geschichte folgt ihrem eigenen Tempo – und die Musik besitzt ihre eigenen Möglichkeiten der Reaktion. Tansman, Weinberg und Lutosławski schufen keine explizit politischen Werke. Doch auch vor reiner Abstraktion scheuten sie nicht zurück. Jeder von ihnen stand vor der existenziellen Frage: schweigen – oder sich äußern? Und wenn Letzteres, in welcher Form?
Alexandre Tansman, in Łódź geboren und seit den 1920er-Jahren in Paris ansässig, war im Jahr 1937 bereits ein etablierter Komponist. Er konzertierte mit Ravel, nahm Schallplatten in den USA auf, und seine Werke erschienen bei Universal Edition. Doch Europa war im Wandel. Wenige Monate nach der Komposition der Variationen über ein Thema von Girolamo Frescobaldi wurden in Italien die Rassengesetze Mussolinis erlassen. In Deutschland verbrannte man die Bücher „nichtarischer“ Autoren.
Tansman griff auf ein barockes Thema aus dem 17. Jahrhundert zurück – scheinbar eine neutrale Wahl. Doch die Variationen sind mehr als eine bloße Stilübung. Sie sind ein Dialog mit einer musikalischen Tradition, in der Europa über Jahrhunderte nach Ordnung suchte. Eine Ordnung, die nun im Begriff war, verloren zu gehen.
Mieczysław Weinberg stammte ebenfalls aus Polen, komponierte jedoch bereits auf Russisch. Nach dem deutschen Überfall 1939 floh er in die Sowjetunion. Obwohl seine gesamte Familie der Shoah zum Opfer fiel, wurde er selbst 1953 wegen „jüdischen Nationalismus“ verhaftet – nur die Intervention Dmitri Schostakowitschs bewahrte ihn vor der Deportation ins Lager. Nach all den Schicksalsschlägen schrieb Weinberg im Jahr 1970 sein Klarinettenkonzert.
Dies ist kein Werk, das zum Kampf aufruft. Eher das Gegenteil: eine Musik der Zurückhaltung, wachsam, von kammermusikalischer Intimität. Der Komponist hegt keine Illusionen darüber, wie wenig im sowjetischen System offen gesagt werden darf – und doch sagt er, was er sagen kann, auf eine Weise, die sich nicht zensieren lässt.
Witold Lutosławski verfügte über mehr künstlerische Freiheit – und hatte zugleich mehr zu verlieren. An seiner 3. Sinfonie arbeitete er über ein Jahrzehnt lang, von 1972 bis 1983. Er begann sie unmittelbar nach dem Dezemberaufstand an der polnischen Küste, vollendete sie erst nach der Verhängung des Kriegsrechts. Lutosławski verweigerte Auftritte in den offiziellen Konzertsälen der Volksrepublik – aber er verließ das Land nicht. Statt politischer Manifeste schrieb er Partituren.
Die Sinfonie entstand im Auftrag des Chicago Symphony Orchestra und wurde unter der Leitung von Georg Solti uraufgeführt. Lutosławski selbst bezeichnete den Beginn – einen Akkord, der sofort abbricht – als „die Initiative eines Individuums“. Was folgt, ist Musik im Widerstand: ein Ringen um Raum, um Ordnung, um das Recht auf Existenz. Auch wenn es sich nicht um ein programmatisches Werk handelt, lassen sich die persönliche Haltung des Komponisten und die Last der Geschichte nicht verleugnen.
Dieses Konzert zeigt, dass Musik nicht immer Worte braucht, um zu reagieren. Was diese drei Werke verbindet, ist genau das: das Bewusstsein, dass es Momente gibt, in denen Schweigen unmöglich ist – und dass man lernen muss, so zu sprechen, dass man gehört wird.
Auszug aus Lutosławskis 3. Symphonie, aufgeführt von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle:
An diesem Abend spielt das Symphonieorchester der Philharmonie Stettin unter der Leitung von Paweł Przytocki, einem Dirigenten mit reicher symphonischer und opernhafter Erfahrung, der für die Intensität und Hingabe seiner Interpretationen bekannt ist. Auf dieser musikalischen Reise wird das Orchester von der belgischen Klarinettistin Annelien Van Wauwe begleitet, die das Publikum weltweit mit ihrem ausdrucksstarken Spiel begeistert.
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DETAILS
Trotz der Stille 17-04-2026 19:00
SinfoniesaalFilharmonia im. Mieczysława Karłowicza w Szczecinie
ul. Małopolska 48
70-515 Szczecin